Portrait des Komponisten Enno Poppe

Auftragskomposition: Feder (2024) für Violine solo

Ein Solostück ist schwer zu schreiben, weil es dort meist keinen Dialog gibt, sondern ein Selbstgespräch. „Feder“ ist hingegen eine Art Quartett: Die vier Saiten der Violine werden als vier unterschiedliche Instrumente aufgefasst, die miteinander im Gespräch sind. Sie kommentieren sich, wiederholen und variieren. Die erste Saite kommt erst nach der Hälfte des Stückes dazu, eine Diva.

Das Entscheidende ist die unbegrenzte Vielfalt der Farben der Violine. Nennen wir eine Farbe „Fritz Kreisler“, eine andere „David Oistrach“ und eine dritte „Andrew Manze“. Ein guter Geiger weiß, wie diese Farben technisch zu spielen sind durch die Verbindung von Vibrato, Bogendruck, Bogengeschwindigkeit und Kontaktstelle auf der Saite. Eine solche traditionelle, auf jeden Fall aber extrem charakteristische Farbe ist sofort zu erkennen, auch wenn man nur einen einzigen Ton spielt. Dadurch, dass jedes einzelne Element im Stück sehr einfach ist  –  manchmal nur ein Ton, manchmal ein dreitöniger Melodiefetzen, manchmal ein Glissando  –  kann man sich ganz auf die Farbwechsel konzentrieren und auf die unterschiedlichen Persönlichkeiten der vier Saiten. Durch die ständigen Farbwechsel hat aber auch jeder Ton einen anderen Ausdruck. Ist das schwer zu hören? Ich wünsche mir, dass es federleicht ist.

 Enno Poppe, 2024
Joseph
Joachim